Krise oder Chance

Schicksalsschläge in der Biografie

Wie werden wir eigentlich zu dem Mann oder der Frau, die wir sind? Eine höchst spannende Frage. Wir alle haben unterschiedliche Biografien auf die wir zurückschauen und natürlich liegt es nahe, sich mit unserer gelebten Lebenszeit zu beschäftigen, um dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Der Einfluß von Glück und Schicksalsschlägen

Es gibt zwei Kategorien von Erfahrungen, beziehungsweise Erlebnissen, die maßgeblich Einfluss nehmen auf unsere Persönlichkeitsentwicklung, auf unser Selbstbild, auf unsere Fähigkeiten und Schwächen. In die erste Kategorie fallen alle Erlebnisse, die uns grundsätzlich von Kindheit an gestärkt haben und widerstandsfähig gemacht haben.  Die Erlebnisse der zweiten Kategorie sind all die Erlebnisse, die wir selbst als Schicksalsschläge, Krisen oder Pechsträhnen beschreiben würden. In jeder Biografie findet sich bei genauerer Betrachtung beides.

Arbeite ich als Coach, oder als psychologische Beraterin mit Menschen, die meist wenn sie mich kontaktieren in einer akuten Krise stecken, so schaue ich grundsätzlich auf beides: auf die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten und aber auch auf verarbeitete, oder akute, noch nicht verarbeitete, krisenhafte Erlebnisse. 

Glück
Traurigkeit

Wunden können zu Perlen werden

Meinen Namensvetterin Hildegard von Bingen hat einmal gesagt: „Die Kunst ist es, die Wunden zu Perlen zu verwandeln.“ Was könnte sie damit gemeint haben? Wie um Himmels willen kann man Wunden in Perlen verwandeln?  Immer dann, wenn wir seelisch verwundet werden, führt das dazu, dass wir das Geschehen und uns selbst sehr stark hinterfragen. Wir schauen also genau hin. Was ist eigentlich passiert? Warum ist es passiert? Und während wir durch die Krise hindurch gehen, landen wir bei den unterschiedlichsten Gefühlen: Verzweiflung, Schuldzuweisungen, Wut, nicht akzeptieren wollen oder können. Früher oder später, wenn wir durch die Krise hindurch gehen, spüren wir, das Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist, da wir gelernt haben die Situation irgendwie zu meistern, sie im wahrsten Sinne des Wortes zu „überleben“. Dann wächst das Selbstvertrauen und wir können über den Umweg der Krise erkennen, wie stark wir eigentlich sind, wie wertvoll und auch wie kämpferisch. Das verstehe ich als die Perle, die aus der Wunde entstanden ist. Die Wandlung des Selbstbildes hin zu mehr Selbstvertrauen und Gewissheit stark zu sein, ist in meinen Augen wahrlich eine Perle.

Das eigentliche Selbst entdecken

Der Philosoph Karl Jaspers geht es noch um einiges weiter. Er sagt: „Der Mensch… muss ja sagen zum Tod und zum Leiden, zum Kampf, zur Schuld und zum Schicksal. Tut er dies in allem Ernste, dann kann es geschehen, dass er eben im aushalten der Grenzsituationen zu seiner eigentlichen Existenz gelangt. Wir werden wir selbst, indem wir in die Grenzsituationen offenen Auges eintreten.“

Diese These verleitet mich zu der hypothetischen Frage, ob vielleicht die Krisen unseres Lebens unser eigenes Selbst mehr formen und modulieren, als all die schönen und glücklichen Erlebnisse?

Meine Coaching- und Beratungserfahrung zeigt, Menschen, die durch tiefe und schwierige Krisen gegangen sind und daran nicht zerbrochen sind, sondern die Stärken, die sie daraus gewonnen haben erkennen konnten, sind tiefsinnige und ausgesprochen dankbare Menschen. Mit geschärftem Bewusstsein.

Scherben des Schicksals

Für mich sind Schicksalsschlage Brüche im Leben. Menschen, die etwas schlimmes durchleben, denken sogar kurzzeitig ihr ganzes Leben wäre zerschlagen worden. Eindeutig überwiegt ein negatives Gefühl ab dem Moment des Geschehens, wo man keine Möglichkeit mehr hatte, Einfluss zu nehmen. Als Beispiel möchte ich hier die Jahrhundert-Hochwasser-Katastrophe in unserem Land nennen, die innerhalb von Sekunden und Minuten das Hab und Gut  von vielen Menschen zerstört hat und Menschenleben gefordert hat. Erlebt man so etwas, ist es in dem Moment unvorstellbar, dass das Leben irgendwann wieder "gut" werden kann. In diesem traumatischen Geschehen dominieren Hilflosigkeit, Verzweiflung, Opfergefühl, Trauer und depressive Gedanken. Das ist nicht nur verständlich, sondern in so einem traumatischen Geschehen "normal". Diese Menschen fühlten sich alleine und wussten nicht, wie sie den riesen Berg an Chaos in ihrem Leben bewältigen sollten. Wenige Tage später sieht man in den Medien einige dieser Betroffenen weinend vor Rührung und Dankbarkeit berichten, welche Welle von Hilfsangeboten von wildfremden Menschen sie erreichten, die ganz einfach kamen und mit anpackten. Solidarität und Wertschätzung, Hilfsbereitschaft wurde für sie ganz eindrücklich fühlbar. Das Ausmaß dieser Katastrophe ist trotz Hilfsbereitschaft immens und für die am schlimmsten betroffenen Menschen wird diese Erfahrung das traumatischste sein, was sie je erlebt haben. 

Wenn ich Menschen begleite, die durch tiefe Krisen gehen, ist es wichtig zunächst das zu fokussieren, was am wichtigsten ist: wobei braucht mein Gegenüber Unterstützung? Was würde ihm/ihr guttun? Wie kann ein wenig Stabilität und Sicherheit wieder spürbar werden?Was wäre dafür erforderlich? Und  irgendwann in der Folge der Begleitung, ermuntere ich zu einem Perspektivwechsel insofern, dass ich die Hypothese in den Raum stelle, dass alles, was uns begegnet, uns irgendwie sogar vorbestimmt ist und dann die Aufgabe darin besteht, das Erlebte anzunehmen. Wir werden zu dem Menschen, der wir sind, durch die Summe der gemachten Erfahrungen und vor allen Dingen solche, die uns ermöglichen unsere inneren Schätze, unserer Stärken und Fähigkeiten zu spüren, die uns auch in den schlimmsten Stürmen des Lebens überleben lassen und stark machen. Und die uns ermöglichen intensiv und bewußt zu leben. Denn die einmal gemachte Erfahrung, wie fragil das Leben ist, ermöglicht eine tiefe, sehr wertvolle Bewusstheit. Manchen Menschen nehmen erst dann das Geschenk des Lebens an, leben fortan intensiv und verändern ganz viel in Ihrem Leben. Manchmal wird ihnen erst dann klar, worin ihre Aufgabe in diesem Leben besteht.

Kremer Kintsugi Coaching


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Über den Autor Hildegard

Hildegard Kremer ist Coach und psychologische Beraterin für Menschen in Krisen. Sie entwickelte das Kintsugi-Coaching, das entstanden ist aus ihrer Idee, sich die Philosophie des japanischen Kintsugi- Verfahrens zunutze zu machen im Coaching. Zerbrechen-Zusammenfügen-Vergolden der Bruchstellen sind die Elemente mit denen sie arbeitet. Außerdem bietet sie psychologische Beratung an zu vielen Problemstellungen.

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